Aufatmen Blog

Raum für Angehörige und Menschen mit seelischen Belastungen

Kleiner Exkurs: Im Moment bleiben, im Heute bleiben.

gnk_smallVielen Menschen, die von psychischen Erkrankungen oder ihren Auswirkungen betroffen sind,  drängt sich die Frage auf:
Was wird die Zukunft bringen? Es folgt langes Grübeln im Hinblick auf Familie, Beziehungen, Gesundheit, berufliche Leistungsfähigkeit, Lebensziele, die angesichts der Dauerbelastung unerreichbar scheinen.

Zunächst einmal ist dies allzumenschlich und verständlich. Wir Menschen versuchen gerne, alles mit unserem Kopf zu erklären, Konflikte vorab in den virtuellen Gängen unserer Gedanken zu lösen. Gerade wenn wir Herausforderungen gegenüberstehen. Das ist per se keine schlechte Eigenschaft, zeigt es doch unser Engagement und unsere Bereitschaft, Verantwortung im Leben zu übernehmen.

Doch unser Kopf kann nicht alle Faktoren erfassen und gerät gern in Sackgassen, wenn er den Wörtchen hätte, würde, könnte bedingungslos Folge leistet. Geht es beispielsweise um das, was in der Zukunft passieren könnte, kann er in ein Sorgenkino geraten, das unser Denken und Fühlen dem Hier und Jetzt unzugänglich machen und unseren Zugang zu wertvollen Ressourcen verbauen kann.

Legen wir unseren Fokus sorgenvoll in die Zukunft oder in die Vergangenheit, können wir nicht gleichzeitig für unser Wohlergehen in der Gegenwart sorgen.

Sorgen wir uns um das, was irgendwann einmal eintreffen könnte, hindert es uns daran, unsere heutigen Vorhaben und To Do’s effektiv anzugehen. Wir investieren seelische Energie in ein unmögliches Unterfangen:

Die Zukunft zu bewältigen, bevor sie überhaupt eintrifft.

Dabei müssen wir nur hier und jetzt unser Bestes geben.

Wird uns mehr als das abverlangt, dann ist es an der Zeit, sich Zeit und Raum einzuräumen, um eine Aufgabe zu bewältigen.

Natürlich ist es wichtig, den Blick in regelmäßigen Abständen in das Gestern und auch in das Morgen schweifen zu lassen. Allerdings ist es wichtig, vorab erst einmal für das Heute zu sorgen. Denn die sorgenvolle Dauerbeschäftigung mit der Vergangenheit oder der Zukuft blockiert uns, wenn wir die gegenwärtigen Lektionen unseres Lebens lernen und meistern wollen.

Leben wir aber im Heute und nehmen ganzen Anteil am gegenwärtigen Geschehen, dann haben wir gute Chancen, dafür zu sorgen, dass die Dinge, die sich in unserer Zukunft ereignen, zu unserem Wohl sein werden.

Im Hier und Jetzt zu leben ist gerade für psychisch erkrankte Menschen, und mitunter noch mehr für ihre Angehörigen, eine Kunst. Es ist belastend, wenn man der Krankheit an vielen Stellen im Alltag begegnet und sich gefordert, ja oftmals auch überfordert, fühlt. Und gerade weil es keinen magischen Knopf gibt, der uns in ein anderes Szenario katapultiert, ist es umso wichtiger im täglichen Leben zu lernen, den eigenen Gedankenfokus zu steuern und im Heute zu bleiben.

Die gute Nachricht ist: Diese Kunst ist erlernbar. Sie ist ebenso erstrebenswert, weil sie das Beste ist, was wir für uns und andere tun können – nicht nur im Hinblick auf die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft. Eine solche Einstellung wirkt sich positiv auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen, unsere seelische und körperliche Gesundheit, unsere beruflichen Fähigkeiten und letztlich auf unser gesamtes Leben aus.


Wie geht das – in der Gegenwart leben?

In der Gegenwart leben bedeutet, mich ganz auf den Moment und seine Inhalte einzulassen. Das ist kein Zauberwerk.

Ein einfaches Beispiel: Wenn ich Auto fahre, fahre ich Auto. Ich denke dabei nicht an etwas was vor mir oder in der Zukunft liegt (auch nicht an den nächsten Termin, zu dem ich gerade fahre!)  sondern fahre einfach nur Auto, nehme aktiv gestaltend und reagierend am Strassenverkehr teil.

(M)eine tägliche Übung: Wenn ich einen Apfel esse, esse ich einen Apfel und schaue nicht gleichzeitig auf mein Smartphone oder Tablet. Schon melden sich ungeduldige Gedanken an wie Habe ich überhaupt genug Zeit zur Verfügung? Ich wollte doch noch xy anrufen, einen Artikel schreiben etc.

Wie in einer Meditation nehme ich meine Gedanken wahr, schaue sie mir kurz an, lasse sie ziehen, kehre zu meinem Apfel zurück, geniesse den Geschmack und freue mich über die Vitaminzufuhr für meinen Körper.
Ich bleibe beharrlich dort, wo ich gerade sein möchte.
Hier. In diesem Moment. Das ist genug.

Als arbeitender Mensch bin auch ich lange Zeit der Versuchung erlegen, mehrere Dinge gleichzeitig zu machen. Dabei habe ich mich zunächst „herrlich produktiv“ gefühlt, musste jedoch schnell bemerken, dass ich am Ende weder mit meiner Zeit noch mit der Qualität des Umgesetzten hingekommen bin. Die gedankliche Nebenwirkung stellte sich alsbald ein: Eine tiefe Form der Unzufriedenheit. Trotz vieler erledigter Dinge ein Gefühl der Ineffektivität. So wollte ich nicht arbeiten und schon gar nicht leben.

Also habe ich mich gewagt, herauszufinden was passiert wenn ich nur eine Sache auf einmal erledige. Ich ertappte mich schnell bei dem Gedanken Klappt das überhaupt? Kann das funktionieren? Doch ermutigt von Freunden, die bereits Erfahrungen mit diesem Vorgehen gemacht hatten, probierte ich es aus. Zu meiner Überraschung klappte es nach ersten Beginner-Schwierigkeiten sehr gut und ich fand heraus, dass ich am Ende des Tages tatsächlich produktiver, qualitativer und vor allem zufriedener meine Dinge erledigt hatte.

Im Rückbezug auf einen Alltag, in dem eine seelische Vorbelastung eine Rolle spielt,  kann genau dies sehr hilfreich sein. Es kann bedeuten, mir auch dann – oder besser: gerade dann –  zu erlauben, einen Gang runter zu schalten und meinen Körper wahrzunehmen. Mein Körper ist treu. Er sagt mir wie es mir gerade geht und meist auch was ich gerade brauche. Er hilft mir, mich zu ankern – aus dem Kopf heraus, in den Moment hinein zu kommen. Habe ich mir ein wenig Zeit mit der Wahrnehmung meines Körpers eingeräumt, komme ich in der Gegenwart an. Ich kann mich bewusst entscheiden, im Moment zu bleiben und wahrzunehmen, was gerade ist. Dann bekomme ich das in den Fokus, was genau jetzt dran ist. Meine Aufmerksamkeit liegt nun in der richtigen Priorität und muss sich nicht mehr mit vielen anderen Gedakeninhalten den Platz teilen.

Alles andere ist in diesem Lebensmoment nicht dran.

Es geht also beim Leben in der Gegenwart keinesfalls darum, wie ein Tagträumer zu leben und das Steuer unseres Lebensschiffes völlig zu verlassen.

Es geht vielmehr um  eine bewusste und lohnenswerte Vorgehensweise.


Und die Zukunft?

Die ist immer noch da und nicht fortgelaufen!

Es ist gut und richtig, zur rechten Zeit sinnvolle Pläne für die Zukunft zu machen. Wir können sogar darauf hin arbeiten, unsere Pläne umzusetzen. Immer einen Tag auf einmal.

Versuchen wir, etwas Vertrauen in das Leben zu entwickeln und uns zu versichern, dass einige Dinge auch funktionieren können, wenn wir sie einfach einmal geschehen lassen und zum jetzigen Zeitpunkt nicht jeden Aspekt unserer Zukunft in der Hand halten.

Alles hat seine Zeit

Ich beschäftige mich damit, was jetzt geschieht, und nicht damit, was morgen eventuell geschehen könnte.

Ich will mir vornehmen, jeden Tag ein bischen mehr Vertrauen in mein Leben zu entwickeln.

Herausforderungen in meinem Leben begegne ich immer einen Tag, einen Moment auf einmal.

 

Autor: Aufatmen Praxis Blog

Raum für Angehörige und Menschen mit schweren seelischen Belastungen

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