Aufatmen Blog

Raum für Angehörige und Menschen mit seelischen Belastungen

Angehörige: Neue Wege beschreiten

Eine akzeptierende Grundhaltung

Es kann helfen, sich bewusst zu machen, dass es sich bei aller partnerschaftlichen und familiären oder freundschaftlichen Nähe um das Leben eines anderen Menschen mit ganz individuellen Bedürftnissen handelt.

Und das trifft gerade für Menschen zu, die an einer psychischen Störung leiden.

Natürlich ist es in Ordnung, für ein krankes Familienmitglied da zu sein. Geraten Sie jedoch nicht in endlose Diskussionen mit dem Erkankten. Suchen Sie zunächst bei sich nach einer akzeptierenden Grundhaltung. Eine akzeptierende Grundhaltung bedeutet nicht, dass Sie mit den Überzeugungen des Erkrankten übereinstimmen müssen. Ebenso  signalisieren Sie mit einer solchen Haltung nicht, dass Sie sich mit der Erkrankung abgefunden oder ihn gar aufgegeben haben.  Auch bedeutet es nicht, dass Sie irrationale Annahmen bestärken oder Ihre Grenzen nicht setzen.

Es geht vielmehr darum zu signalisieren, dass Sie ihn

  • ernst nehmen,
  • wertschätzen,
  • als Mensch so akzeptieren wie er gerade ist.

Eine akzeptierende Grundhaltung ist das, was sich ein psychisch erkrankter Mensch von den ihm nahestehenden Menschen am meisten wünscht.

Ich habe in meiner Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen beobachtet, dass eine solche Grundhaltung sehr hilfreich ist, um einen Zugang zueinander zu finden und langfristig an einem vertrauensvollen Miteinander zu arbeiten.

Angehörige, die gelernt haben, eine akzeptierende Grundhaltung zu praktizieren, bestätigen, dass sie die Beziehung zu ihrem Familienmitglied erhalten und mithin erneuern konnten.

Überdies konnten sie sich selbst langfristig gedanklich und emotional entlasten.

Akzeptanz hat etwas Heilsames. Sie befreit von der Überzeugung, dinge, die nicht in unserer Macht stehen, ändern zu können (wie z. B. die psychische Krankheit und ihre Symptome wie beispielsweise irrationale Überzeugungen eines anderen Menschen). Sie befreit auch von Schuld- und überzogenen Verantwortungsgefühlen. Sie sortiert unsere Emotionen und hilft uns, Dinge realitätskonform einzuordnen. Genau das ist jetzt notwendig, um einen klaren Kopf zu behalten und Raum für einen neuen Umgang mit der Erkrankung zu schaffen.

Das ist es wert, oder?

Für das Einüben einer akzeptierenden Grundhaltung werden Sie eine längere Zeit brauchen und das ist in Ordnung. Geben Sie sich Zeit und Geduld. Wir sind es nicht gewohnt, so zu denken und gerade in  dieser Situation zuviel von sich zu verlangen, wäre kontraproduktiv.  Versuchen Sie, sich das Erlernen dieser Grundhaltung als langfristiges Ziel zu setzen. Sie müssen nicht perfekt sein. Rechnen Sie mit Unterbrechungen und Rückschlägen. Mir ist kein Mensch bekannt, der diese Haltung je vollständig erlangt hat. Aber Sie können nur für heute in kleinen Schritten mit dem Einüben einer solchen Haltung beginnen:

Kreisen Ihre Gedanken um den Betroffenen, dann machen Sie sich bewusst:

Es ist wie es ist.

Tun Sie dies in einer liebevollen Grundhaltung sich selbst gegenüber. Damit gehen Sie den ersten wichtigen Schritt, die Realität zu akzeptieren.

Verlangen Sie sich nicht zuviel ab. Praktizieren Sie diesen Schritt immer nur einen Tag auf einmal, notfalls eine Stunde, auf einmal.

Denken Sie daran, dass Veränderungen im Leben immer Unsicherheit hervorrufen. Oft kommen diese durch schwerwiegende Ereignisse zustande. Wir können viele Parameter unseres Lebens auf sicherem Grund aufstellen, können uns jedoch nicht aussuchen wann und welche einschneidenden Lebensereignisse uns treffen. Wir können jedoch unsere Reaktion auf diese Ereignisse beeinflussen und mit einer stärkenden Einstellung und gestärkten inneren Ressourcen das Beste daraus machen.

Neue Situationen erfordern neue Haltungen. Auch wenn Sie nichts am gesundheitlichen Zustand Ihres Familienmitglieds ändern können, können sie doch durchaus etwas für sich tun, um gestärkt mit dieser schwierigen Belastungssituation umzugehen. Sie können sich erfahrene Hilfe holen und lernen, ihre inneren Ressourcen zu entdecken und zu nutzen und neue Ressourcen aufzubauen.

Eine achtsame, akzeptierende Haltung kann Ihnen einen ersten neuen Zugang zu dem erkrankten Familienmitglied ebnen. Dies kann der Einstieg in eine neue, veränderte Beziehung sein und Hilfe bieten, von Vorstellungen, die im Kontext der Erkrankung nicht mehr funktionieren, loszulassen.

Sehen Sie Ihren Verantwortungsbereich realistisch.

Denken Sie daran, dass Ihr eigenes Leben weiter besteht und bei aller Verbundenheit und dem Wunsch, zu helfen nicht auch noch durch die Erkrankung zum Erlahmen gebracht werden sollte. Für Ihr eigenes Leben sind Sie zuallererst verantwortlich. Der Umfang Ihres Lebens ist größer und eigenständiger und muss nicht auf die Erkrankung Ihres Familienmitgliedes reduziert sein. Setzen Sie gesunde Grenzen. Gerade das ermöglicht Ihnen, ein starker und verlässlicher Partner für das betroffene Familienmitglied zu sein.

Selbst wenn Sie schon seit langem für einen erkrankten Menschen da sind, können Sie sich stärken und Ihr Leben um neue Ressourcen bereichern. Sie helfen niemandem damit, sich selbst aufzugeben.

Indem Sie sich selbst stärken, stärken Sie auch den Betroffenen und andere Mitglieder Ihrer Familie, die ebenso wie Sie darum ringen, wie sie mit der neuen Situation umgehen können.

Autor: Aufatmen Praxis Blog

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