Aufatmen Blog

Raum für Angehörige und Menschen mit seelischen Belastungen

Mein Familienmitglied ist depressiv – was kann ich tun?

Es ist eine große Herausforderung, die Krankheit Depression bei einem nahestehenden Menschen zu erleben. Für viele Angehörige kommt die Belastung hinzu, für sämtliche Alltagserfordernisse der Familie allein Sorge zu tragen und sich um alle gesundheitlichen und versorgungsseitigen Belange des Familienmitgliedes zu kümmern. Es ist nur normal, dass daher oft auch die Emotionen bei Angehörigen Kopf stehen und Kommunikation untereinander erschwert stattfindet.

Aber Kommunikation ist und bleibt notwendig und selbst wenn der depressiv erkrankte Mensch in Sachen Kommunikation den Rückzug angetreten hat, bleiben Versuche, Kontakt herzustellen doch nicht unbemerkt .

Wie bei allen psychischen Störungen gibt es kein Patentrezept. Es gibt jedoch Ansätze, die anderen Angehörigen bereits geholfen haben in der täglichen Begegnung mit der Krankheit.

Informieren Sie sich über die Krankheit

Manchmal stimmt der Slogan „Gut informiert ist halb gelitten“. Einen neuen informierten Blick auf die Krankheit gewinnnen kann den eigenen Unsicherheiten und  Ängsten sehr entgegenwirken. Es kann Mut machen und für neue Ideen sorgen. Je mehr Sie über die Krankheit Ihres Familienmitgliedes wissen, desto weniger müssen Sie sich ihr ausgeliefert fühlen. Sie können sich mithin besser auf Situationen vorbereiten und gefasster reagieren. Informationen finden Sie beispielsweise bei der Deutschen Depressionshilfe und beim Robert Koch Institut.

Suchen Sie sich Unterstützung

Ich kann es immer wieder nur betonen – ein Ort wo Sie frei sprechen und ihren Gefühlen Raum geben können ist eine Oase für Angehörige. Sie müssen mit dieser Belastung nicht allein fertig werden. Suchen Sie Menschen, die Ihre Gefühle verstehen, die Ähnliches durchgemacht haben. Besuchen Sie Selbsthilfegruppen. Unternehmen Sie etwas mit anderen Menschen. Wenn Ihr Partner bislang den aktiveren Part übernommen hatte, dann trauen Sie sich nun auch allein etwas zu.

Wenn Sie sich selbst bereits am Rande Ihrer Belastungsgrenze fühlen, sind Berater und Therapeuten, die Ihnen supportiven Beistand geben und helfen können, Lebensqualität wiederzufinden, hilfreich. Vielleicht haben Sie diese Möglichkeit noch gar nicht in Betracht gezogen oder müssen sich überwinden, das Ungewohnte zu wagen. Geben sie sich einen Ruck und probieren sie es aus – Hilfe ist gar nicht so fern wie man denkt! Gerade für Angehörige ist regelmässige emotionale Entlastung wichtig, erweitert die eigenen Perspektiven, fördert das Aufladen der Batterien und das Bewusstwerden ihrer verschütteten Ressourcen.

Suchen und fördern Sie Ressourcen

Im Gespräch mit Ihrem Familienmitglied können auch Sie Ressourcen fördern. Entwickeln Sie einen Sensor für nicht-depressive Äusserungen und Verhaltensweisen und belohnen bzw. verstärken Sie sie.

Lernen Sie neues Zuhören

Ich habe es ganz bewusst so formuliert – das Zuhören will neu erlernt sein. Wenn Sie Menschen gefunden haben, die Ihnen zuhören, können Sie auch diese Gabe neu entwickeln und Ihrem Familienmitglied zuhören. Oft ist dies wenn man sich schon lange kennt oder über längere Zeit mit der Krankheit gelebt hat, eine Herausforderung. Sicher braucht es hierfür Zeit (und die ist zugegebenerweise heute ein knappes Gut) aber es lohnt sich. Üben Sie neues, bewusstes, nicht bewertendes Zuhören bei nicht-erkrankten Menschen im Alltag.

Wenn Sie Ihrem Familienmitglied bewusstes Zuhören schenken, schaffen sie eine Athmosphäre der Wertschätzung. Ein depressiver Mensch ist oft genau vom Gegenteil überzeugt, nämlich davon, nichts wert zu sein. Hier können Sie die Krankheit kontern. Geben Sie dem Kranken Zeit, seine Gedanken in Worte zu fassen. Kontrollieren Sie Ihre Reaktion. Beschliessen Sie bewusst, das Gesagte nicht zu bewerten und nicht zu unterbrechen. Entscheiden Sie sich, das Gehörte nicht zu kritisieren oder bewertend zu kommentieren.

Den ganzen Menschen sehen

Ihr Partner oder Familienmitglied ist mehr als seine Erkrankung. Versuchen Sie, den Mensch hinter der Krankheit als ihren Gegenüber zu sehen und achten Sie darauf, dass die Gesprächsinhalte sich nicht nur um seine Erkrankung drehen. Lenken sie Ihren Fokus auf Themen des normalen Lebens und versuchen Sie den Depressiven einzubeziehen aber überfordern Sie ihn nicht.

Erwartungshaltung korrigieren

Auch wenn Sie bis hierher alles beherzigt haben (und da wir Menschen sind, ist dies erst mit einer Weile Training realisierbar), erwarten sie bitte keine Besserung für Ihre Zuwendung. Denken Sie daran, dass es eine Erkrankung ist. Zeigen Sie menschliche Wärme und Zuwendung ohne Bedingungen wie Sie es auch für einen Menschen, der einen Herzinfarkt erlitten hat, tun würden.

Ihr Wunsch nach Besserung ist verständlich; für den Kranken jedoch kann dieser wahrgenommene Wunsch eine große Überforderung darstellen, die ihn zum erneuten Rückzug bewegen kann. Denken Sie daran, Depression hat nichts mit Nicht-Wollen zu tun. Depression bedeutet Nicht-Wollen-Können.

 Verzichten Sie auf Rat-Schläge

Natürlich meinen wir im halbwegs gesunden Zustand zu wissen, was richtig und falsch für den Kranken ist. Oft ist dem aber gar nicht so, weil wir in die innere Dynamik der depressiven Erkrankung nicht hineinsehen und verstehen können was der Depressive Mensch gerade inwendig wahrnimmt. Gut gemeinte Ratschläge, künstliches Aufmuntern oder die klassischen Aufforderungen, „sich zusammenzureissen“, sind gerade für depressiv erkrankte Menschen eher Schläge als Rat und verstärken nur die resignierte Stimmung beim Erkrankten.  Was nutzt der beste Rat, wenn er für den Betroffenen schlichtweg nicht umsetzbar ist?

Alltagsstruktur etablieren und unterstützen

Depressive Menschen brauchen strukturierte Alltagsabläufe. Hier können sie als Angehöriger unterstützen, indem Sie die Bedingungen da wo es Ihnen möglich ist,  sicherstellen. Dazu kann gehören: Morgendliches Wecken zur selben Zeit, regelmäßige Essenszeiten, Rituale, die dem Depressiven Halt und Sicherheit geben. Wichtig ist hierbei allerdings, dem Kranken nichts überzustülpen oder etwas zu erzwingen, was er nicht leisten kann. Vermeiden Sie Versagenserlebnisse beim Erkrankten.

Unterstützen durch Nicht-Unterstützen

Wenn es Dinge gibt, die der Betroffene allein verrichten kann und will, ist es sehr wichtig, ihm diesen Teil zu überlassen und nicht zur Hilfe zu eilen bzw. den Job abzunehmen. Denn Depression ist wie eine Lähmung. Umso aufbauender ist es für den depressiven Menschen, wenn er etwas alleine schaffen kann. Etwas alleine bewerkstelligen bedeutet in diesem Fall Ressourcen aufbauen. Wenn man es weg nimmt suggeriert dies dem Erkrankten, dass er zu nichts in der Lage ist und es beim nächsten Mal gar nicht erst versucht.
Ganz wichtig: Bewerten Sie nach getanem Job nicht das Ergebnis, versuchen Sie vielmehr die Errungenschaft trotz aller Mängel zu loben und sich aufrichtig mit dem Betroffenen zu freuen. Freuen Sie sich über seine Freude.

Mit anderen Worten: Das Glas ist halbvoll, nicht halbleer.

Das Beste noch einmal zum Schluss: Sorgen Sie für sich

Sicher bedeuten alle diese Punkte sehr viel Veränderung für Sie. Denken sie daran, dass es viele andere Menschen mit ähnlichen Herausforderungen gibt. Dass es Experten gibt, die Sie dabei begleiten können, in die neuen Kommunikationsformen hineinzufinden und langfristig Ihre emotionale Belastung lindern. Sie sind es wert!

 

Autor: Aufatmen Praxis Blog

Raum für Angehörige und Menschen mit schweren seelischen Belastungen

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