Aufatmen Blog

Raum für Angehörige und Menschen mit seelischen Belastungen

Kein Opfer, sondern ein kreativer Mensch.

gnk_smallLeben wir über längere Zeit in einer Belastungssituation, können wir schnell von der Vorstellung geprägt werden, Opfer zu sein: Opfer unserer Umstände, Opfer unsensibler Mitmenschen, Opfer der Krankheit des Familienmitgliedes …

Manche von uns haben sich an das Gefühl der Hilflosigkeit und der Resignation bereits gewöhnt. Diese Opferrolle kann sich wie ein grauer Nebel über unsere Wahrnehmung legen und hat sie sich erst eingenistet, sehen wir uns im Alltag darin noch mehr bestätigt. Dies widerum führt dazu, dass sich negative Überzeugungen und Gefühle im täglichen Leben noch mehr bestärken. Wir fühlen uns schnell ausgenutzt, nicht gehört, übergangen, ausgepowert… die Liste ist lang. Ist diese Haltung erst einmal automatisiert, kann sie uns nicht nur in unserem Denken, sondern auch in unserem Handeln beeinflussen.

Gerade für Menschen mit chronischen Belastungen kann ein solches Denken zur Gewohnheit werden – so sehr, dass wir, auch wenn wir gerade gute Dinge erleben, Nachteiliges im Fokus haben.

„Immerhin, Sie sind erfolgreich im Beruf.“
Ach, seufzen wir, Sie wissen ja gar nicht wie sehr mich Projekt xy gerade nervt …

„Sie haben gerade einen Kurzurlaub in den Bergen verbracht.“
Ja, seufzen wir, aber er ist schon wieder vorbei …

„Sie haben ja einige hilfsbereite Menschen an Ihrer Seite.“
Ja, seufzen wir, aber es gibt auch mal Konflikte …

und schliesslich

„Ihr Partner (Kind, FreundIn) hat auf die Behandlung gut angesprochen. “
Ja, aber wer weiss wie lange es vorhält und was als nächstes auf mich zukommt …

Sehen Sie es?

Wenn wir zulassen, dass uns das Opfergefühl beherrscht, können wir mitunter eine beinah geniale Fähigkeit besitzen, auch einer guten Nachricht, einer optimierten Situation, ja selbst den besten Umständen etwas Negatives abzugewinnen.

Unser Körper verweilt in einer Schutzhaltung – wir senken den Kopf, ziehen unsere Schultern hoch und schlurfen resignativ durch unseren Alltag.

Wir gehen davon aus, dass unsere Umstände oder andere Menschen die Macht haben, über unser inwendiges Wohlbefinden zu bestimmen.

Fakt ist, wir sind keine Opfer.

Keine Frage – wir mögen eine Zeit lang in unserem Leben zu Opfern gemacht worden sein. Vielleicht in der Kindheit, vielleicht durch Schicksalsschläge, vielleicht  durch unabänderliche widrige Umstände, vielleicht durch das Verhalten anderer Menschen.

Und im Anschluss daran kann es sein, dass wir unbewusst durch unsere Haltung Menschen und Situationen, die uns in dieser Haltung bestärkten angezogen haben.

Aber wir sind keine Opfer. Denn wir dürfen und können jeden Tag neu beginnen.

Wir können Hilfe annehmen, uns inspirieren lassen.

Wir können die resignative Haltung ablegen.

Wir können lernen von denen, die bereits gelernt haben wie man sich aus der Opferhaltung herausbewegt.
Wir sind keine Menschen, die nur aus Schwächen bestehen. Wir haben ebenso viele Stärken. Durch die Opferhaltung kann es sein, dass wir unsere Stärken aus unserem inneren Blick verloren haben. Wir haben jedoch innere und äussere Ressourcen und selbst wenn wir diese vernachlässigt haben, können wir heute damit beginnen, sie neu aufzubauen. Jeden Tag ein Stück.

Wir können unsere Stärken geltend machen.

Wenn wir in einer schwierigen Situation oder chronisch belastet sind, müssen wir uns nicht zusätzlich selbst zu Opfern machen.

Wir sind Bevollmächtigte unseres Lebens und berechtigt, gesunde Grenzen zu ziehen. So müssen wird nicht zulassen, dass Menschen oder Begebenheiten uns zu Opfern machen.

Auch für Angehörige gilt:
Wir sind nicht Opfer der Erkrankung unseres Familienmitgliedes.

Wir haben Grenzen.
Wir sind nicht für die Erkrankung eines nahestehenden Menschens verantwortlich.
Ebenso wenig können wir seine Krankheit kontrollieren.
Wir können keinen anderen Menschen heilen oder retten.

Aber es gibt durchaus etwas, was wir tun können:
Durch eine gestärkte Haltung zu uns selbst können wir dazu beitragen, dass wir trotz allem leben und uns eine positive Athmosphäre schaffen. Wir können dafür sorgen, dass wir inwendig ausgeglichen sind und nicht um die Krankheit oder damit zusammenhängende Probleme 24 Stunden am Tag kreisen.

Wir können dafür sorgen und uns darin trainieren, dass wir die guten Dinge sehen, riechen, fühlen und schmecken. Damit tragen wir automatisch auch zu etwas Positivem dem anderen Menschen gegenüber bei.
Allein das kann schon sehr viel bewegen!

Auch Menschen mit seelischen Erkrankungen müssen nicht in der Resignation verharren. Ganz gleich was unser körperliches oder seelisches Handicap ist, ganz gleich wie unsere Umstände gerade sind: Wir sind immer noch liebenswerte Menschen und dürfen unsere ganz individuelle Fähigkeit, kreativ zu sein im Rahmen unserer Möglichkeiten nutzen. Viele seelisch erkrankte Menschen finden in der Kunst und Musik eine Möglichkeit, ihre Kreativität zu erkunden und einzigartig zu erleben, neue Wege zu finden. Etliche finden in therapeutischen Seminaren Möglichkeiten, ihre Konflikte angemessen und kreativ zu lösen. Oder ihre Einzigartigkeit zu bejahen und anzunehmen.
Kleine Schritte können große Wirkung zeigen. Auch Sie müssen sich Ihrer Erkrankung nicht ergeben.

Ihnen möchte ich sagen:
Sie sind in erster Linie Mensch – Sie sind nicht Ihre Erkrankung.

Was uns im Leben passiert, kann uns bewegen und durchaus eine Zeit lang ver-rücken, aber es muss uns nicht definieren.

Wir müssen weder in traurigen noch in glücklichen Situationen nach dem Negativen suchen. Wir sind immer noch kreative Menschen, ergo: Mit einer kreativen Natur erschaffen.

Und genau deshalb dürfen und können wir unsere Selbstfürsorge und Selbstverantwortung wahrnehmen.

Es gibt immer ein negatives „Aber…“, wenn wir es zulassen. Ziehen Sie eine Grenze.
Schauen Sie sich mutig Ihre Gefühle an, ohne in sie hineinzugehen.

Empfinden Sie Ärger? Gehen Sie mit Ihre Ärger um.
Hier ist vielleicht gerade ein konseqentes „Nein“, in angemessener Form, das Richtige.

Haben Sie eine Gelegenheit verpasst?
Das passiert vielen Millionen Menschen mehrfach an einem Tag. Es ist in Ordnung, sich zu ärgern. Eine gute Perspektive kann darüber hinaus sein: Vielleicht hat es auch gerade eine gute Seite, dass ich ___ verpasst habe. Zum Beispiel kann ich mir nun mehr Zeit einräumen, mich auf die nächste Gelegenheit gut vorzubereiten und in der Zwischenzeit etwas anderes für mich tun, was auf meiner Liste ist.

Empfinden Sie Enttäuschungsfrust?
Stellen Sie sich den Fakten. Da wo notwendig, ent – täuschen Sie sich.

Teilen Sie sich Ihrem Gegenüber mit.  Es ist in Ordnung, für sich zu sorgen und in eine gesunde Distanz zu gehen, um Klarheit zu gewinnen. Wenn nötig, ziehen Sie sich ggf. eine Zeit lang aus der Beziehung zurück.

Machen sie langsam, mit sich und auch mit dem Anderen. Kreisen Sie nicht um den Konflikt. Entschleunigen Sie sich, geben Sie Ihrer Seele etwas Zeit. Mit etwas Distanz kommt auch Perspektive. Sorgen Sie jetzt für das, was Ihre Seele gerade braucht.

Wir sind zur Kreativität in unserem Denken und Handeln erschaffen. Dies kann sich für jeden Menschen in verschiedenen Fähigkeiten und Gaben äussern. Für den einen kann es bedeuten, sich Hilfe zu holen. Für den anderen wiederum kann es bedeuten, sich aufzurichten und Klärung zu begehren. Für den nächsten widerum kann es bedeuten, heute ganz besonders für sich zu sorgen.

Es bedeutet, Entscheidungen und notwendige Veränderungen anzugehen und dafür die Verantwortung zu übernehmen.

Es gibt mehr Möglichkeiten als uns die Opferhaltung vorgaukelt. Lassen Sie sich inspirieren. Bieten Sie dem Automatismus die Stirn und üben Sie täglich bis sich eine neue Haltung entwickelt. Holen Sie sich Hilfe. Gehen Sie in eine aufrechte Haltung, heben Sie Ihren Kopf, schauen Sie nach vorn.

Sie sind berechtigt, das Gute zu genießen. Tun Sie jeden Tag etwas Gutes für sich.

Gerade wenn Sie starke Belastungen durchmachen, gilt:

Ich wende mich mit mindestens ebenso viel Energie auch dem, was mir gut tut, zu.

 

Autor: Aufatmen Praxis Blog

Raum für Angehörige und Menschen mit schweren seelischen Belastungen

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